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Last Generation

Die neue BMW R 1300 GS ist ein komplett neues Motorrad und schickt sich an, die Saga des extrem erfolgreichen Premiumbikes und Marktführers auch weiterhin fortzusetzen. Ob, und wieviel sie wirklich besser geworden ist als das Vorgängermodell konnten wir bei der Pressevorstellung in Andalusien erfahren.







Ich bin zurück vom Presslaunch der neuen BMW R 1300 GS in Màlaga, die Nacht war schlaflos, zu viele Gedanken, was kann ich über den Nachfolger des verkaufsstärksten Motorrades der letzten Jahre schreiben, um glaubwürdig zu bleiben?

Denn am ersten, hochsommerlichen Tag auf den Straßen im südlichen Spanien war unsere Gruppe zu groß und vor allen Dingen: zu langsam. Außerdem war die Strecke für den Offroadtest zu kurz, unmöglich in einen Flow zu kommen, um die Maschine wirklich treffsicher zu beurteilen.

Ich war verwirrt: soviel Aufwand, geschätzte hohe zweistellige (wenn nicht sogar niedrige dreistellige…) Millioneninvestitionen für ein komplett neues Motorrad. Und ich hatte sie noch nicht verstanden!


Flashback GS Trophy Albanien 2022


In Màlaga spielte mir außerdem eine höhere Macht einen bösen Streich, um mich auf die Probe zu stellen: nach dem Dinner stieß ich beim Spaziergang im Hotelpark plötzlich auf eine Gruppe staubiger GS 1250 im Trophy Dekor, es waren die Maschinen einer Reisegruppe, die unabhängig von der Präsentation im Hotel war. Es traf mich wie ein Schlag und sofort waren die Erinnerungen an die GS Trophy in Albanien wieder da, die ich auf eben diesem Bike als Pressevertreter begleiten durfte. Romantische Verklärung, Flashback an ein unvergessliches Erlebnis im Sattel der „alten“ GS, bei der die Technik noch zum Anfassen war: sichtbare Baugruppen mit klaren Statements, die ihre Funktion nur schon durch die technische Gestaltung vermitteln. German Engineering, „Form Follows Function“, Bauhaus oder so. Gefiel nicht jedem, mir aber schon. Eben zum Begreifen und Anfassen, dazu hier noch mit einer feinen Staubschicht überzogen. Mein Ding.


Mehr Mainstream


Bei der neuen 1300 er ist die Form ein bisschen mehr Mainstream, von weitem könnte man die Silhouette im Sonnenuntergang bei Gegenlicht auch mit Modellen anderer Marken verwechseln. Bei näherer Betrachtung: die Technik ist weniger präsent, die Maschine ist fast komplett verschalt. „Gut zum Putzen“ wie mir ein Mechaniker bestätigt, oder: „ja weil’s dahinter voll ist mit elektronischem Zeugs, Steckern und Kabeln“ gemäß Chefdesigner Edgar Heinrich, der Ende 2023 seinen Dienst bei BMW nach rund 30 Jahren beenden wird. Ein Blick unter die Sitzbank in die elektronischen Eingeweide bestätigt das: es wimmelt von Relais, Sensoren, Kabeln und Steckern in wohlgeordneter Anordnung. Klar: irgendwo müssen die Signale für die unzähligen Einstellmöglichkeiten von Motor, Fahrwerk, Bremsen und Komfort ja herkommen. Die Anzahl der Ausstattungsoptionen ist gewaltig und erschließt sich dem Fahrer erst nach ausgiebigem Studium. Die BMW-Händler werden viel Zeitinvestieren müssen, um mit ihren potentiellen Kunden das Traumbike zu konfigurieren.


Aber wie schafft es eine Entwicklungsabteilung, so viele „unterschiedliche“ Motorräder gleichzeitig zu konstruieren und dabei immer den „Spirit of GS“ im Hinterkopf zu haben?



Konzeptfindung


Edgar Heinrich klärt auf: „Früher waren die Motorräder so einfach aufgebaut, dass die 4 KEFA Bereiche (Karosserie, Elektrik, Fahrgestell, Antrieb) sich bei der Entwicklung nur an den Schnittstellen abstimmen mussten. Wenn man so weiter gemacht hätte, wären die Maschinen irgendwann einfach immer größer und breiter geworden, diese Komplexität kann man heute nur noch durch einen integrativen und virtuellen Prozess bewältigen, den wir seit der ersten S 1000 verfolgen.“

Jochen Beck, seit 2013 Projektleiter der GS, legt nach: „das Universalgenie, das sich ein Motorrad ausdenkt, dass dann später auch produziert wird, gibt es heute nicht mehr. Wir sind ein Team von Experten, welches die GS macht und sie versteht, es ist ein iterativer Prozess, wo wir uns gegenseitig auch mit dem Vertrieb über Workshops abstimmen, und uns fragen: Will ich alles bewahren oder was möchte ich radikal ändern? Dann beginnt man, abzuwägen, was geht und wie man das Package mit der vorhandenen Technologie gestalten könnte, außerdem schaut man, was es in der Vorentwicklung gibt. Wir haben auch den einen oder anderen Freak, der seine Note mit reinbringt, einzelne Technologien sind Ideen unserer Mitarbeiter und kommen nicht von der Geschäftsleitung oder dem Marketing. Das Enduro-Schmiederad zum Beispiel ist ein Thema wo einer gesagt hat: es muss doch auch ohne das Gewicht des Kreuzspeichenrads mit gewissen Einbußen bei der Solidität gehen, um eine Enduro-Tauglichkeit zu bekommen. Solche Anstöße kommen von Kollegen, die in dem Gebiet unterwegs sind, wir sind sehr offen in dieser Phase, wo man Ideen einstreuen kann. BMW beobachtet natürlich auch den Wettbewerb und macht sich ständig Gedanken, welche Innovationen man ins Fahrzeug bringen kann. Bei einer bestehenden Architektur ist man aber beschränkt, die kann man zwar verbessern oder überarbeiten, aber eben nicht revolutionieren.“




Fahrbarkeit statt Höchstleistung

Bei der 1300 er GS bat sich der Entwicklungsabteilung unter Leitung des passionierten Motorrad-Rallyefahrers Christof Lischka nun die Chance, etwas wirklich Neues zu machen, denn die Architektur des Bikes wurde komplett überdacht, ohne die Hauptanforderung der Fahrbarkeit aus den Augen zu verlieren. Dazu nochmal Beck: „Wir sammeln die Themen und überlegen uns: wo wollen wir hin, wieviel Leistung brauchen wir? Man könnte mehr machen, was aber nicht GS-spezifisch ist, weil bei der Maschine eben die Fahrbarkeit im Vordergrund steht. Deshalb haben wir schon die 1250 er mit der ShiftCam nicht auf Maximalleistung, sondern auf Fahrbarkeit getrimmt. Bei der 1300 er hatten wir dann diese Technologie schon, was neue Möglichkeiten bei der Motorgestaltung bot. Die Positionierung der Maschine wurde lange diskutiert, wir wollten den Turnaround machen und weg von immer größer, schwerer, fetter. Natürlich sollte das Fahrzeug deutlich dynamischer werden, aber eben nicht mehr über die klassischen Attribute wie mehr Hubraum und mehr Leistung, sondern vor allem auch durch Reduzierung und Bauteilintegration. Dann haben wir das Ganze zusammengedampft, um das Maximum in einem beherrschbaren, handlichen und kleinen Motorrad zu bekommen.“

Diese „Komprimierung“ ging auch über eine komplette Neukonstruktion des Rahmens: der Hauptrahmen welcher den Steuerkopf, den mittragenden Motor und die Schwingenlagerung miteinander verbindet ist nun aus zahlreichen tiefgezogenen Stahlblechteilen und Schmiedeteilen miteinander verschweißt. Mit dieser Konstruktion war es möglich, ein extrem eng bauendes Package zu realisieren, bei dem die Rahmenstruktur fast wie eine zweite Haut über den Motor und andere wichtige Komponenten gestülpt ist. Nicht so toll: die Fahrerfußrasten sind an Auslegern des Hauptrahmens verschraubt, das könnte bei einem Crash teuer werden.

Auch beim Heckrahmen geht BMW neue Wege: das Druckguss-Aluminiumteil integriert nun viele Funktionen und hilft, das Heck schlank zu halten. Auch dadurch konnte das Gewicht der Maschine zusammen mit anderen Maßnahmen um 12 kg auf 237 kg gedrückt werden (mit zu 90% befülltem Tank und der Grundausstattung).

On the road

Nach Drücken des Starterknopfes schnurrt der Boxer vertraulich und bekannt, erscheint aber mechanisch etwas lauter als der Vorgänger. Da eine Getriebewelle weggefallen ist dreht die Kurbelwelle nun andersrum als das Vorgängermodell (von hinten gesehen entgegen dem Uhrzeigersinn). Durch das reduzierte Kippmoment bekommt man beim Anlassen mit anschließendem, minimalem Gasgeben leicht das Gefühl, der Motor verfüge im Keller über etwas weniger Drehmoment. Ein Blick auf das Datenblatt verrät die „kurzhubigere“ Auslegung mit 106,5 mm Bohrung bei 73 mm Hub für 1.300 cc, mit der auch die Baubreite in Grenzen gehalten wurde (R 1250 GS: 102.5 x 76 mm für 1.254 cc Hubraum). Interessant auch die neue Positionierung der Nockenwellenantriebe: rechts sitzt sie vor dem Zylinder und auf der linken Seite dahinter, dadurch wurde ein fast symmetrisches Erscheinungsbild des Motors erreicht, denn beim Boxer sind ja bekanntlich die Zylinderachsen um den axialen Pleuelversatz verschoben. Die Motorleistung wuchs um 9 PS auf 145 PS, das Drehmoment wurde um 6 Nm auf 149 Nm erhöht, die Verdichtung des Motors beträgt nun 13,3:1 (vorher: 12,5:1).

Das Getriebe ist jetzt unter dem Motorgehäuse integriert und nicht mehr dahinter montiert. Dadurch liegt die Kurbelwelle nun etwas höher, einen genauen Wert konnte man uns auf der Präsentation aber nicht mittteilen. Der Getriebeausgang hingegen liegt tiefer, das ermöglicht in Verbindung mit einer längeren Schwinge weniger Lastwechselreaktionen im Sekundärantrieb, außerdem gibt es nun eine durchgehende Schwingenachse, weil das Zentrum des vorderen Kardangelenks nicht mehr mit dieser in einer Flucht liegt.

Wir fahren zunächst die mit Metzeler Tourance Next 2 Reifen in den Größen 120/70 R 19 und 170/60 R 17 besohlte Basisvariante der neuen GS in Andalusien auf der Straße und ich freue mich, dass die Interfaces mit dem Fahrer, also TFT Display, Griffe und Hebeleien, altbewährt sind. Neu hingegen: der Kontaktschalter für die Zündung sitzt nun nicht mehr am Lenkkopf, sondern am rechten Lenkerschalter, ABS und Traktionskontrolle müssen über das Menü des TFT Displays gesteuert werden und können nicht mehr durch simplen Knopfdruck abgeschaltet werden. Die Vertrautheit könnte zu Beginn etwas verwirren, denn man hat irgendwie das Gefühl, auf der alten GS zu sitzen. Ist aber nicht so, der Tank (19 Liter Inhalt) bäumt sich nicht mehr wie der Table einer Motocrossstrecke vor einem auf wie beim Vorgängermodell, der Lenker mit passender Breite sitzt gefühlt etwas tiefer und auch der Schrittbogen hat durch eine schmalere Sitzbank (im vorderen Bereich) gewonnen.

Die R 80 G/S fährt mit

Ansonsten ist alles wie gewohnt gut: federleichte Bedienkräfte an Kupplung und Gas, die schwarzen Handhebel aus geschmiedetem Aluminium mit sandgestrahlter Oberfläche machen selbst durch das Handschuhmaterial hindurch Lust zu Grabbschen. Auch die neue GS kommt wieder als Gesamterlebnis für alle Sinne rüber: Tasten, Fühlen, Sehen und Hören. Bei Letzterem macht sich wie gesagt ein leichtes mechanisches Tickern des Motors bemerkbar, man denkt für einen Moment an den Ventiltrieb eines luftgekühlten Boxermotors. Vielleicht ist es vermessen anzunehmen, dass dieses Heritage-Element als Reminiszenz zur Ur-80 G/S vom Marketing eingestreut wurde?

Der große AHA-Effekt bleibt auf den ersten Kilometern Straße mit der neuen GS aus: keine besonderen Vorkommnisse, alles ist gut, passt und funktioniert ein bisschen leichter, als man es von der 1250 gewohnt ist. Angenehm in der Stadt: das Timbre der Auspuffanlage wirkt gedämpfter als bei der Vorgängerin, die Airbox hört man gar nicht mehr.

Die zahllosen Einstellmöglichkeiten und Fahrmodi der Maschine können dazu führen, dass manche Testfahrt mit einer Enttäuschung endet, falls jemand im Menu rumgepfuscht hat, der sich nicht auskennt. Die neue GS ist keine Maschine, deren Potential sich in einem fünfminütigen Youtube-Video erschließt. Man muss tief in sie einsteigen, um zu verstehen, was sie alles drauf hat. Ansonsten könnte sie ein Motorrad wie jedes andere auch bleiben und –jetzt lehne ich mich mal ganz weit aus dem Fenster- ein Großteil der Kunden und Fahrer wird das wirkliche Potential der GS 1300 nie erfassen. Wer sich aber wirklich auf sie einlässt, wird mit einer Motorraderfahrung auf dem nächsten Level beschenkt, wenn Evo-Telelever, Paralever, Boxermotor, der niedrige Schwerpunkt und die Ergonomie fein wie die Saiten einer Gitarre aufeinander abgestimmt sind und eben das typische GS-Feeling ermöglichen.


„Do you want to know the answer?”

Im Laufe des Jahres habe ich immer wieder mit Experten gesprochen, um rauszubekommen, was diese Attribute für die geniale Fahrbarkeit der GS ausmachen, woran man sie messen und beurteilen kann. Zusammen mit ehemaligen BMW Ingenieuren oder anderen Technikern aus der Szene haben wir Fahrwerksgeometrien, Gewichtsverteilungen und technische Daten studiert, aber die Antwort war immer die gleich: es gibt sie nicht, die eine Erklärung. Die Performance und der Erfolg der GS hängen auch von der Crew ab, die sich seit Jahrzehnten mit der Maschine befasst. Für den Monsterjob, ein hervorragendes und überragendes Motorrad noch besser zu machen reicht kein Marketing-Meeting mit Tabellen und Zahlen. Es braucht die virale, tägliche Bindung zum Objekt: was tut es und was braucht es an welcher Stelle, um noch besser zu werden?


München, Italien


Und eben genau das vermitteln alle Beteiligten vom Geschäftsführer Dr. Schramm über Designer Edgar Heinrich, den Projektleiter Beck oder die Leute aus der Presseabteilung selber, die neben anderen während der Präsentation auf dem Motorrad dabei waren: Leidenschaft und Liebe zum Projekt, das waren früher vor allen Dingen italienische Tugenden, aber inzwischen ist BMW da auf der Überholspur unterwegs. Man möge mir diese Art des positiven „Campanilismo“ verzeihen: deutsche Ingenieure, wie ich selber einer bin, haben vielleicht nicht den Ruf als besonders unterhaltsame Personen in der Welt. Aber einige unserer klischeehaften Tugenden können eben doch hilfreich sein, um eine GS noch besser zu machen, in München (und Berlin) hat man das drauf. Denn inzwischen kennt man das auch von der MOTO GP: die Pole Position nicht mehr durch einen Geniestreich zu schaffen, sondern durch penibelste, allerfeinste Optimierung im Detail an jedem Bauteil.


Die 1250er GS war gut und ist es noch immer, denn sie gewinnt noch Vergleichstests. Und vielleicht hätte sie auch mit Überarbeitungen bis zum Ende des Verbrenners durchstehen können, dennoch hat sich BMW entschieden, sie komplett neu zu entwickeln. Die neue GS 1300 ist das Ergebnis von Jahrzehnten der Optimierung und Beschäftigung mit dem Objekt, dazu passt ein Zitat des begnadeten Musikers Jeff Buckley, der sagte: „Music is endless“. Das Gleiche gilt für die GS, die den kreativen Köpfen in Hinckley, Mattighofen und Borgo Panigale schlaflose Nächte bereiten wird. Denn es ist kaum anzunehmen, dass in Japan nochmal jemand diesen Fehdehandschuh für das blaue Band des besten Premium ADV Bikes aufnehmen wird.




Riesiges Einsatzspektrum


Nochmal zurück zu den unzähligen Variationen und Einstellungen, die für die GS verfügbar sind: kein anderes Motorrad auf dem Markt deckt heute ein so breites Einsatzspektrum ab, wie die neue 1300 er. Man könnte das Starterfeld auf einer GP-Rennstrecke mit 24 völlig unterschiedlichen GS 1300 bestücken, bei denen aber jede auf ihre ganz spezielle Art ein Klassenprimus sein könnte, ja nach Vorliebe des Fahrers.


Auf den ersten, kurvigen Kilometern auf Andalusien’s Straßen im Sattel des Basismodells (das ist die weiße Maschine mit Gussrädern) macht sich ein starkes Nickmoment der GS bemerkbar, sie schwingt nach Bodenwellen nach und macht ihrem Spitznamen „Gummikuh“ alle Ehre! Was ist da los?

Wie bereits oben erwähnt hat jemand an der Abstimmung der Federung gedreht! Also kurzer Stopp und Dämpfung im Fahrmodus Dynamic zugedreht-danach gibt es kein Halten mehr. Plötzlich spürt man eine fantastische Leichtigkeit im Sattel der neuen GS und man hat das Gefühl, sie könne beim Wedeln Gedanken lesen. Scheinbar nur durch Blickkontakt legt sie sich von einer Kurve in die nächste, und zwar millimetergenau dorthin, wo man sie haben will- ganz ohne Kraftanstrengung und mit kaum wahrnehmbarem Impuls am Lenkerende. Hat die künstliche Intelligenz jetzt auch beim Interface Fahrer/Maschine Einzug gehalten?

EVO Telelever


Wie gesagt: Zentralisierung der Massen und kompakteres Volumen der Maschine…. Aber den größten Anteil an dieser enormen Fahrwerksverbesserung dürfte das überarbeitete Frontend haben, bei dem nun die Gleitrohre der Gabel (45 statt 37 mm Durchmesser) steif mit der oberen Gabelbrücke verbunden sind während sich die untere Gabelbrücke über ein Rillenkugellager im Längslenker dreht. Das bedingt erheblich geringere Losbrechkräfte bei einem Lenkimpuls und die gesamte Vordergabel ist torsions- und biegesteifer. Beim Vorgängermodell musste man wegen einer gewissen Flexibilität zwischen Lenkergriffen und Radaufstandspunkt die Kommandos bei sehr sportlicher Kurvenfahrt um Sekundenbruchteile antizipieren. Bei der neuen GS hingegen bekommt man genau das, was man will im Hier und Jetzt: Lenksignale werden sofort mit absoluter Präzision umgesetzt.


Überzeugen tun auch die Schaltbarkeit des Getriebes, die Dosierung der Kupplung sowie die Leerlauffindung ebenso wie der Quickshifter, der nun deutlich besser funktioniert. Ein Wort zur Kombibremse (Lieferant Brembo, Doppelscheibe mit 310 mm Durchmesser vorne, Einzelscheibe mit 285 mm hinten): bei Bremsung hinten wird auch am Vorderrad leicht mitverzögert, eventuelle Druckschwankungen im Bremskreis, ausgelöst durch die Intervention des ABS am Hinterrad, sind am Hebel vorne deutlich zu spüren. Das ist nicht jedermanns Sache, besonders wenn man sehr sportlich unterwegs ist. Für gemütliches Tourenfahren macht diese Technik Sinn, in den Fahrmodi Enduro oder Enduro Pro kann man sich davon befreien.

Dort können auch das ABS hinten und die Traktionskontrolle außer Betrieb gesetzt werden, dann spürt man am Kurvenausgang erstmal richtig die Bedeutung von fast 150 Nm, wenn das Hinterrad beginnt, durchzudrehen. Die Unterbindung der elektronischen Fahrhilfen ist immer wieder ein besonderer AHA-Effekt, um den wahren Charakter eines Motorrades zu begreifen: nur ein Projekt mit einer gelungenen Architektur erlaubt es, im Grenzbereich ohne Schutzfunktionen unterwegs zu sein, so wie früher halt. Und genau dort brilliert die GS 1300 mit einer überzeugenden Ausgewogenheit: auch das schmale und leichte Heck sorgt zusammen mit einer Konzentration der Massen um den Schwerpunkt zu einer makellosen Beherrschbarkeit, auch wenn der Boxer mal mit dem Heck auskeilt.

Rennsportakustik adé


Im weiteren Verlauf der Vormittagsrunde geht es über Hochplateaus durch die Berge von Andalusien, auf den langen Geraden spürt man den länger übersetzten sechsten Gang und man kann sich gut mit dem Komfort auseinandersetzen: Lenkerenden, Sitzbank und Fußrasten sind im fahrrelevanten Drehzahlbereich frei von Vibrationen, kurz vor dem roten Bereich spürt man ein Gribbeln in der Sitzbank, die bei der Basisversion 850 mm hoch liegt. Es sind Varianten von 800 bis 890 mm verfügbar, zusätzlich ist die Neigung des Fahrersitzes um 4 Grad einstellbar, nicht aber die Höhe. Das heißt: wer eine andere Sitzhöhe ausprobieren will muss sich eine andere Sitzbank beim Händler kaufen.

Wenn man den Motor unter voller Beschleunigung ausdreht ändert sich die Geräuschkulisse komplett: die Mechanik übertönt noch stärker das Auspuffgeräusch und wird zu einem undefinierbaren Maschinendröhnen. Vorbei die Zeiten, als man einen hochdrehenden Boxer immer noch am Auspuffgeräusch erkennen konnte… Übrigens wird bei maximaler Beschleunigung auch das Vorderrad ein wenig leicht, denn man bekommt das Körpergewicht nicht ausreichend nach vorne. Der elektronische Lenkungsdämpfer unterbindet alle Tendenzen zum Kickback wirkungsvoll.


Noch ein Wort zur Aerodynamik: bei der Basisversion war ein relativ großes, elektrisch verstellbares Windschild mit seitlichen Abweisern verbaut, das in der hohen Position hervorragenden Schutz für meine Körpergröße von 175 cm ganz ohne Verwirbelungen oder lästige Windgeräusch bot. Bei der Trophy-Variante ist das Schild viel kleiner und mechanisch in zwei Stufen verstellbar, bietet aber auch hier ausreichenden Windschutz.

Bemerkenswert ist die Arbeit der Aerodynamiker auch am schmalen Heck, was bei vielen Maschinen eine hohe Verschmutzung von Sitzbank und Rücken des Fahrers bedingt. BMW hat durch eine doppelwandige Ausführung der hinteren Radabdeckung mit einer Fanglippe für Wasser, das vom Rad nach oben transportiert wird, eine extrem einfache wie effiziente Lösung gefunden, um Spritzwasser fern zu halten. Dazu trägt auch die kleine Plastikabdeckung am Aluminium-Hauptständer bei, um im Bereich eines Strömungsvakuums das Aufsteigen von Schmutz zu vermeiden. Auch an der Vordergabel sorgt nun eine Abdeckung im Bereich des Durchbruchs in der Frontverkleidung für mehr Schutz. Nach einer zweistündigen Fahrt im Regen und auf nassen Straßen konnten wir uns von der Wirksamkeit der neuen Maßnahmen überzeugen.


Offroad


Nach dem Wechsel auf die Trophy-Variante geht es auf pittoresken Feldwegen über die Kämme der Hügel zum Enduropark Andalucia, der mit BMW zusammenarbeitet

(https://www.google.com/search?client=firefox-b-d&q=enduropark+andalucia). Die Gruppe ist leider wieder zu groß und zu langsam, die Staubentwicklung ist extrem und es ist unmöglich, auch nur andeutungsweise Fahrzustände zu erreichen, die einen verlässlichen Vergleich mit dem Vorgängermodell zulassen. Auch im Enduropark selber sind die Möglichkeiten sehr beschränkt, das ist enttäuschend.


Aber dennoch: im tiefen, losen Schotter und auf einem Singletrail zwischen lockeren Felsen ist die verbesserte Präzision des Frontends zu spüren: während es auf der 1250 noch hieß: Gewicht nach hinten und Pobacken zusammenkneifen in der Hoffnung, dass die GS durch einen Korridor von ungefähr einem Meter Breite pflügt, präsentiert sich die Neue anders. Man kann vorderradorientiert mehr auf Attacke fahren und die Hindernisse auch dank der Metzeler Karoo 4 Reifen gezielt anfahren, das 19 Zoll Vorderrad folgt genau den Lenkimpulsen und geht stabil in die anvisierte Richtung, die Federbeine von ZF Sachs machen ihren Job gut und bieten 190 mm Federweg vorne und 200 mm hinten. Mehr Präzision bedingt natürlich auch weniger Gutmütigkeit, es könnte also sein, dass die neue GS 1300 im Grenzbereich nicht mehr so viel vergibt, wie die 1250, das bleibt zu klären.


Wenn der Singletrail anspruchsvoll wird und man im ersten Gang bei Schritttempo im Trial-Stil unterwegs ist dann wünscht man sich einen Motor, der ganz unten knapp über Leerlaufdrehzahl schon auf minimale Impulse am Gasgriff mit einem Drehmomentkick reagiert. Das konnte die 1250 hervorragend, die 1300 er GS hat diesbezüglich etwas an Charakter verloren, wenn sie auch im mittleren Drehzahlbereich voll präsent ist. Schade, denn gerade das Trialfahren mit dem Dickschiff auf der Drehmomentklippe war etwas Außergewöhnliches. Bei der neuen muss immer ein Finger am Kupplungshebel liegen, um die Leistung im Schritttempo abzurufen.


Das wäre besser gegangen


Beim Stehendfahren im Gelände machen sich zwei weitere Dinge bemerkbar, die im Vergleich zum Vorgängermodell schlechter geworden sind: auf die Tankflanken sind seitlich gewölbte Plastikverkleidungen aufgesetzt, die genauso wie die im hinteren Teil zu breite Sitzbank keinen präzisen Knieschluss beim Fahren im Stehen mehr zulassen. Außer im Gelände stört mich persönlich das auch auf der Straße, wo die 1250 eben für mich der beste „fliegende Teppich“ der Welt war, mit dem man herrlich im Stehen auf kurvigen Straßen fahren konnte, indem man einfach nur sein Gewicht von ganz vorne nach ganz hinten und zurück in einem kontinuierlichen Tanz verlagerte. Dabei die Knie immer eng an der Maschine, halt so wie bei einem professionellen Rallyebike. Auf der Neuen geht das nur noch mit O-Beinen, schade!


Die Unterbringung des Radars an Front und Heck ist sehr unförmig und klobig umgesetzt worden, der Verzicht auf ein zentrales Rücklicht mit der Unterbringung aller Funktionen im Blinker ist der Sicherheit abträglich: Bremslicht und Blinkersignal sind bei hellem Sonnenlicht unter Umständen schlecht wahrzunehmen.


Die sehr schmalen Fußrasten der Basisversion mit ziemlich steifen Gummiauflagen, die bei Nässe keinen sicheren Halt für einige Offroadstiefel bieten, stammen wohl noch von der 1100 er und können nicht überzeugen.


Beim Presslaunch in Andalusien gab es keine Möglichkeit, den neuen Matrix-LED Scheinwerfer mit adaptivem Kurvenlicht in der Nacht zu beurteilen, genauso wenig blieb Zeit für die Fahrt mit Beifahrer oder die Anwendung des Gepäcksystems. Die Testmaschinen waren nicht mit der automatischen Sitzhöhenabsenkung ausgestattet, die unterhalb von 25 km/h innerhalb von 1,5 Sekunden die Maschine um 30 mm absenkt und oberhalb von 50 km/h drei Sekunden braucht, um sie wieder auf das normale Niveau zu bringen.


Der Grundpreis der BMW R 1300 GS beträgt 19.100 €, damit ist sie 800 € teurer als die 1250 er, bietet aber mit Heizgriffen, Tempomat und anderem Zubehör eine erweiterte Grundausstattung. Mit etwas mehr Zubehör kommt man leicht auf 24-25.000 €, wer alles bucht, darf weit über 30.000 € abdrücken.

Fazit


Im Sommer hatte ich die Gelegenheit, die BMW R 1250 RS über 2000 km lang sportlich zu bewegen. Mein Urteil damals: „Die GS für die Straße, die beste BMW, um die Qualitäten des Boxermotors wirklich hautnah zu erleben“. Ich befürchte, die neue R 1300 GS ist der Henker für die RS. Denn mit dem neuen Motor und dem außergewöhnlich guten Fahrwerk sind dermaßen extreme Beschleunigungen und Bremsmanöver mit unglaublicher Souveränität möglich, die einem reinen Straßenmotorrad und damit neben der RS auch der anderen Schwester aus eigenem Haus S 1000 XR ziemlich nahe kommen. Dazu kommen hervorragende Lenkpräzision, Spurhaltung und Zielgenauigkeit, für das Wedeln auf kurvenreichen Straßen ist ein sehr geringer Krafteinsatz nötig, es scheint, als sehe das Frontradar der Maschine die Straße von selbst.

Im Offroadeinsatz lässt sich eine Verbesserung der Fahrbarkeit erahnen, die aber während der Präsentation nicht wirklich ausgelotet werden konnte.


Für mich persönlich hat die R 1300 GS inzwischen einen Level an Performance und Komfort erreicht, der für die meisten Wettbewerber für immer unerreichbar bleiben wird, bevor Motorräder mit Verbrennungsmotoren endgültig von unseren Straßen verschwinden werden.


Technische Daten:










Pictures by: BMW Motorrad, Markus Jahn, Jörg Künstle, Giovanni Chillemi, Klaus Nennewitz

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